Trennung nach dem Urlaub

Die Vorgeschichte

SIE

Eigentlich beginnt es schon lange davor. Du freust dich auf deinen Jahresurlaub. Er soll dich entschädigen für all den Stress und die Entbehrungen in deinem Leben. Im Urlaub soll es dir einmal so richtig gut gehen. Alles soll perfekt sein. Deswegen muss er optimal geplant werden. Das Hotel liegt direkt am Meer, natürlich. Du wirst auf dem Balkon sitzen und den Sonnenuntergang genießen. 

Endlich wirst du deinen Bewegungsdrang ausleben können, den du im Alltag so oft unterdrücken musst. Du sitzt im Büro, am Hin- und Heimweg im Auto. Während dein anderes Ich auf dem Rennrad durch die Gegend flitzt. Aber halt leider nur in Gedanken, im Herzen. Das wird im Urlaub anders sein. Du wirst endlich wieder einmal das Gefühl auskosten, vollkommen ausgepowert zu sein und guten Gewissens einen Teller voller Pasta zu verschlingen.

Vielleicht probierst du auch eine neue Sportart aus – wie wäre es mit Wellenreiten? Nach so viel ungewohnter Anstrengung für deinen Körper gönnst du ihm auch mal ein wenig Auszeit in der Sauna, vielleicht sogar eine Massage.

Die Kinder werden inzwischen bestens unterhalten und gefördert, knüpfen neue Freundschaften beim Fußball-Spielen oder Töpfern. Abends erzählt dann beim gemeinsamen Essen jeder von seinen Erlebnissen. Wenn die Kinder im Bett sind, wirst du noch mit deinem Partner auf der Hotelterrasse das Tanzbein schwingen. Vielleicht werdet ihr auch einmal zu zweit das Candlelight-Dinner genießen, während die Kinder mit den Betreuern im Miniclub essen. Das wird der perfekte Urlaub. Nichts einkaufen, nichts kochen, nicht kümmern müssen. Einfach nur leben, sein, genießen.

Diese Stecknadel im Heuhaufen ist natürlich nicht unbedingt einfach zu finden. Deswegen bereitest du dich akribisch auf den Urlaub vor. Und selbstverständlich gehst du davon aus, dass dein Partner auch diese Wünsche hegt. Deswegen braucht man erst gar nicht darüber zu sprechen. Ist ja wohl logisch. Wer sollte nicht so einen perfekten Ausgleich zum Alltag anstreben. Um all diese Wünsch erfüllt zu bekommen, braucht es schon fast eine eierlegende Wollmilchsau. Oder einen Cluburlaub. 

Ganz feine Antennen irgendwo an einem Ort in deinem Kopf, wo bruchstückhafte Erinnerungen an eure Zeit als kinderloses Paar vor sich hindümpeln, beginnen zu schwingen. An die Zeit, wo ihr euch und eure Vorlieben kennen gelernt habt. Was für Musik hörst du gerne? Welche Filme gefallen dir besonders gut? Wohin möchtest du reisen? Was machst du gerne im Urlaub? Liegt in diesem Areal irgendwo die nicht unerhebliche Information, dass dein Mann keinen Cluburlaub mag? 

Aber das war in einem anderen Leben, das zählt nicht. Sicherlich sieht er das jetzt ganz anders. Er will doch auch ausspannen, den beruflichen Stress los lassen, sich nicht um die Kinder kümmern müssen. Sollst du ihn fragen oder ihn einfach mit einer Buchung überraschen? Er freut sich doch immer, wenn du die Anforderungen des Alltags erledigst, ohne ihn damit zu belästigen. Wenn du ganz ehrlich zu dir wärst, müsstest du dir jetzt eingestehen, dass du Angst vor der Diskussion hast. Angst, deine Wünsch verteidigen, vielleicht sogar Kompromisse eingehen zu müssen. Nein, da machst du deinem Mann lieber eine Freude und erledigst das lästige Urlaub-Buchen für ihn. 

ER

Wie sehr ich mich auf den Urlaub freue. Endlich den ganzen Stress abfallen lassen. Mich auf mich selbst besinnen, meine Frau, meine Familie. Dem Lärm des Alltags entfliehen, Ruhe und Stille finden. Naja, in dem Rahmen, in dem das mit zwei Kindern halt möglich ist. Aber ihnen wird ein wenig Abstand auch gut tun. Mir schwebt für heuer etwas ganz Besonderes vor. Das war schon lange mein Wunsch. Heuer werden wir es realisieren, jetzt sind die Kinder groß genug. Wir werden auf einer Almhütte wohnen. Wir werden Wanderungen machen, auf Berge steigen, die Kinder werden die Natur kennen und lieben lernen. Ich werde sicher den perfekten Ort dafür finden. Vielleicht gibt es in der Nähe einen kleinen Bergsee, in dem sich kurz abkühlen kann. Wir werden als Familie so richtig zusammen wachsen durch die gemeinsam erlebten Abenteuer. Am Lagerfeuer werden wir Stockbrot grillen und nachts auf einer Hängematte die Sternschnuppen bewundern. Das wird ein Funkeln und Leuchten sein weit abseits der Lichtverschmutzung. Falls es einmal regnen sollte, werden wir gemeinsam spielen, lesen oder malen, es wird unsere Kreativität wecken. Ich werde Holz hacken für das Feuer, das einfache Leben wird uns eine tiefe Verbundenheit zur Natur spüren lassen und zueinander, nicht nur während des Urlaubs, sondern auch noch danach. Dieser Urlaub wird uns als Paar und als Familie verändern, zusammenwachsen lassen. 

Ob ich mal mit meiner Frau darüber rede? Lieber nicht, sie hat ja ohnehin so viel um die Ohren. Obwohl wir beide berufstätig sind, kümmert sie sich ehrlicherweise mehr um die Kinder als ich. Bis auf die zwei Wochen Familienurlaub taktet sie die ganzen Ferien durch. Zeit bei den Großeltern, Sport-Camps, Sommer-Betreuung. Wirklich toll macht sie das. Da kann ich ihr wenigstens einmal die Urlaubsplanung abnehmen. Sie wird sich sehr darüber freuen. Schließlich redet sie immer davon, wie gern sie mal ausspannen möchte. Das kann man in so einer Hütte ja wirklich ganz besonders gut. Und wie sehr ihr der Sport fehlt. Sie wird das Wandern lieben. Vielleicht sollte es Forstwege geben in der Umgebung. Dann könnten wir die Mountain-Bikes mitnehmen. 

Das wird nicht unbedingt einfach werden, die perfekte Hütte zu finden. Am besten fange ich gleich mal damit an. Zuerst mit meiner Frau zu reden, würde das ja außerdem viel zu sehr verzögern. Bis wir endlich mal Zeit finden für ein ausführliches, ruhiges Gespräch, sind die besten Objekte sicher schon vergeben. Und außerdem kann ich sie endlich mal überraschen mit einer positiven Aktion, einem richtig aufwändigen Beitrag von mir. Wo sie sich ohnehin oft über ihren Mental Load beschwert. Vielleicht nicht ganz zu unrecht, aber dafür verdiene ich mehr Geld. Und das wird uns jetzt einen unvergesslichen Sommerurlaub ermöglichen.

In meinem Roman „Trennung al dente“ gibt es auch eine Trennung nach dem Urlaub. Allerdings und völlig anderen Vorraussetzungen.