Jetzt ist es passiert. Niemals hättest du das für möglich gehalten. Schließlich liebst du deinen Partner. Aber jetzt fühlst du dich so beschwingt. Der Alltag geht dir leicht von der Hand, und wenn nicht, so flutscht er wenigstens an dir vorüber, während du an ihn denkst. Dabei hat alles so harmlos angefangen. Aber eigentlich ist es ja immer noch harmlos. Ist es das wirklich? Wo ist die Grenze, ab der es nicht mehr harmlos ist? Und was ist das Gegenteil von harmlos? Wenn du mit einem anderen Mann schläfst? Oder pausenlos an ihn denkst? Wenn es in deiner Brust sticht, in deinen Eingeweiden rumort beim Gedanken an ihn? Wenn du dein Handy mit auf die Toilette nimmst, um mit ihm schreiben zu können? Wenn du dich besonders zurechtmachst für einen Tag im Büro, an dem du ihm über den Weg laufen könntest? Oder ist Sex die einzige Grenze, ab der es nicht mehr harmlos ist? Würdest du jemals so weit gehen? Jetzt liegt dieser Gedanke so fern wie die übernächste Galaxie, aber galt das vor ein paar Wochen nicht auch noch für das Fremdverlieben?
Man kann sich nicht Fremdverlieben, wenn man in der Beziehung glücklich ist. So heißt es doch. Aber stimmt das wirklich? Du warst doch glücklich in deiner Beziehung. Aber was heißt überhaupt glücklich? Ihr habt einen gut eingespielten Alltag, gemeinsame Kinder, Urlaube oder Hobbys. Nur selten geratet ihr in Streit, und wenn, dann über banale Kleinigkeiten. Im Bett ist zwar etwas Routine eingekehrt, aber das ist doch normal in einer langjährigen Beziehung. Oder etwa nicht? Erwartest du etwas mehr Einfallsreichtum von deinem Partner, oder solltest du vielleicht selbst mal die Initiative für etwas Außergewöhnlicher ergreifen? Denkst du beim Sex manchmal an deinen Schwarm? Ist damit auch schon die Grenze zum Harmlosen überschritten?
Was gehört noch zum Glück? Die Schmetterlinge sind erlahmt, aber auch das ist doch normal nach einigen Jahren oder etwa nicht? Kann man sie wiederbeleben? Oder flattern sie immer nur für frisch Verliebte? Dann müsste man ja alle paar Jahre den Partner wechseln, wenn man vom Flügelschlag der Schmetterlinge berührt werden möchte.
Du teilst gemeinsame Werte mit deinem Partner. Aber davon fängt der Schmetterling auch nicht mehr zu flattern an. Es ist eine solide Grundlage. Aber eine solide Grundlage ist halt manchmal so spannend wie Beton. Deinen Schwarm im Büro findest du zwar unglaublich anziehend, sexy, charmant. Mit ihm fühlst du dich wieder lebendig. Er ist nicht das Betonfundament, sondern das Luftschloss. Aber kann man in einem solchen dauerhaft leben? Und willst du das überhaupt? Warum kann man nicht beides haben – Das Fundament mit dem Luftschloss darauf?
Wenn du das wirklich möchtest, ist das zumindest für eine Zeitlang sicher möglich. Manche schaffen es sogar über Jahre hinweg eine Parallelbeziehung zu führen. In der dann halt auch die Schmetterlinge irgendwann erlahmen werden. Aber die Parallelbeziehung ist vielleicht leichter gegen neue Schmetterlinge auszutauschen, als die „Hauptbeziehung“.
Aber eigentlich kannst du dir nicht vorstellen, deinen Partner so sehr zu verletzen. Aber würdest du ihn überhaupt verletzen, wenn er gar nichts davon weiß? Schon jetzt hast du den Eindruck, dass eure Beziehung ein wenig in Schwung gekommen ist. Können Schmetterlinge die langjährige Beziehung beleben, auch wenn sie eigentlich für jemand anderen flattern? Und darf man dieses Gefühl auskosten, wenn man damit niemandem weh tut?
Das sind einfach viel zu viele Fragen für einen Menschen ganz alleine. Du hast das dringende Bedürfnis, sie mit jemandem zu teilen. Aber mit wem? Der Mann deiner besten Freundin ist mit deinem Mann befreundet. Diese Konstellation habt ihr immer sehr genossen. Ihr fahrt gemeinsam in den Urlaub, geht zum Klettern und passt gegenseitig auf eure Hunde oder Kinder auf. Wenn du jetzt deine Freundin einweihst, bringst du sie in einen Konflikt. Ganz abgesehen davon könnte sie dein Geheimnis unabsichtlich verraten. Deine anderen Freundinnen sind dir nicht ganz so nahe. Vielleicht ist das eine bessere Idee?
Am sichersten ist vielleicht erst einmal das Internet. Du kannst dir deine Situation in einem Forum von der Seele schreiben. Und dort triffst du ganz bestimmt Gleichgesinnte. Denn wie soll deine Freundin dich verstehen, wenn sie niemals gefühlt hat, was du fühlst? Oder vielleicht hat sie das sogar und hat es dir nur nicht erzählt? Das wäre ein Grund mehr, es ihr zu verschweigen.
Oder sollst du es vielleicht überhaupt deinem Mann beichten? Vielleicht macht ja auch die Heimlichkeit einen Teil des Reizes aus, und der ist dann verschwunden, wenn du erst einmal gebeichtet hast? Vielleicht hat er ja sogar Verständnis für dich? Schließlich hast du ihn schon lange im Verdacht, er könne ähnliches erlebt haben. Damals, vor drei Jahren, als er plötzlich angefangen hat zu Joggen, auf sein Gewicht zu achten und seine langweiligen weißen Hemden plötzlich bunter wurden. Die Veränderungen waren so klischeehaft, dass es unter deiner Würde war, sie zu bemerken. Also hast du beschlossen, sie in deinem Unterbewusstsein zu verbannen. Aber dort haben sie offensichtlich ein so freundliches Klima vorgefunden, dass sie bis heute überlebt haben und du sie jetzt hervorholen kannst. Vielleicht würde das deine Position bei einer Beichte verbessern? Angriff ist ja schließlich die beste Verteidigung.
Aber du möchtest deinen Partner ja gar nicht angreifen. Du möchtest doch nur verstanden werden. Und glücklich sein. Und niemandem weh tun. Aber geht das überhaupt? Am ehesten scheint es noch möglich zu sein, wenn alles bleibt, wie es ist. Du bleibst in deiner stabilen Partnerschaft. Die fehlenden Schmetterlinge flattern im Büro und solange sein Partner nichts davon weiß, ist er auch nicht unglücklich. Aber jetzt meldet sich ein kleines Teufelchen. Vielleicht ist dein Partner ja gar nicht treu? Vielleicht waren die Veränderungen vor drei Jahren nur der Anfang und er hat bis heute eine Parallelbeziehung, von der du nichts weiß? Was weiß man schon wirklich von seinem Partner? An Gelegenheiten mangelt es schließlich nicht, weder dir, noch deinem Partner. Yoga, Stammtisch, Mädlsabend, Dienstreisen….
Dieses Dilemma beschäftigt so viele Menschen, es ist in unzähligen Filmen und Büchern präsent. Unter anderem in meinem Buch „Trennung al dente“, wo Parallelbeziehungen vor, während und nach einer Trennung verheimlicht, gelebt und offenbart werden und alle Beteiligten eigentlich nur glücklich sein wollen.