Erste Hilfe für die Seele

Du hast die Affäre deines Partners entdeckt. Zufällig oder auch nicht, wer weiss das schon. In dir kocht, brodelt und wütet es. In deiner Brust wird ein Messer mehrmals hin- und her gedreht, ganz langsam, damit es auch richtig weh tut. 

Auf die Schockstarre folgt der Wunsch nach Aktionismus – aber welche Aktion eigentlich? Was ist richtig in dieser Lebenslage? Schließlich hast du dich darauf nicht vorbereitet. Niemand geht davon aus, dass einem das passieren könnte. Obwohl die statistische Wahrscheinlichkeit recht hoch ist. Aber es geht auch niemand davon aus, in einen Unfall verwickelt zu werden, wenn er morgens sein Auto besteigt. In der Führerscheinausbildung muss man immerhin einen Erste-Hilfe-Kurs absolvieren. Auch wenn sich wahrscheinlich nur mehr wenige Verkehrsteilnehmer mehr als vage daran erinnern könne.

Aber jetzt ist es tatsächlich passiert. Die selbsterfüllende Prophezeiung kann es also nicht gewesen sein. Aber gibt es das überhaupt? Einen Erste-Hilfe-Kurs für die Seele? 

Mangels Vorbereitung bist du jetzt auf andere Ersthelfer angewiesen. Wie auch bei den körperlichen Themen sind manche dafür besser geeignet als andere. Aber bei der seelischen Erste-Hilfe kommt noch ein weiterer Komplexitätsgrad hinzu. Während die menschlichen Körper bis auf Äußerlichkeiten eher ähnlich aufgebaut sind – das Herz ist meist an der selben Stelle zu finden für die Massage und der Mund für die Beatmung auch – ist die Seele ein weiteres Feld. Man weiß ja noch nicht einmal wirklich, was das eigentlich genau ist und wo das sitzt. Und obwohl es durchaus Parallelen gibt, sind die seelischen Empfindungen noch breiter gefächert als die körperlichen Reaktionen.

Somit wären als seelische Ersthelfer wohl jene geeignet, die einem möglichst ähnlich sind. Das kann bei Freundinnen durchaus der Fall sein. Andererseits verbinden uns Freundschaften oft mit Menschen aus alten Zeiten, oder auch um das eigene Selbst zu ergänzen. Diese Freundin weiß dann vielleicht nicht, wo genau der Knopf ist, der jetzt auf welche Weise gedrückt werden muss. Sie schließt – wie die meisten Menschen – von sich auf andere. Es ist wie der Telefonjoker oder die Publikumsbefragung bei der Millionenshow. Die Antwort kann richtig sein oder auch nicht. 

Echte Freundinnen werden in dieser Lebenslage mit ehrlich gemeinter seelischer Unterstützung zur Seite stehen. Aber gut gemeint ist ja bekanntlich nicht immer gut. Jetzt können Äusserungen kommen wie „Dieser Scheißkerl hat dich doch gar nicht verdient.“ Dieser Satz kann objektiv gesehen richtig sein, aber trotzdem nicht der richtige für dich – vielleicht willst du ja verzeihen, der Liebe noch eine Chance geben? „Du wirst den Mistkerl doch wohl nicht zurück nehmen!“, „Du hast doch auch deinen Stolz“, und weitere Ratschläge gehen in die ähnliche Richtung. 

In der ersten Phase kann Wut ein durchaus wertvolles Gefühl sein und gemeinsam mit den Freundinnen zu wüten tut besonders gut. Geteilte Wut ist doppelte Wut und viel hilft viel. Aber irgendwann ist vielleicht genug gewütet und du willst diese Phase verlassen, reflektieren, vielleicht auch gewisse Anteile bei dir suchen, dass es überhaupt so weit gekommen ist.

Gesellschaftliche Erwartungen können in alle Richtungen wirken. Früher wurde von Frauen erwartet, Affären ihres Mannes stillschweigend zu dulden. Aus wirtschaftlichen Gründen blieb ihnen meist auch nichts anderes übrig. Scheidungen waren etwas für Hollywood-Stars.

Glücklicherweise haben sich die Zeiten geändert. Trotzdem kann gesellschaftlicher Druck immer noch wirken, wenn auch manchmal in die andere Richtung. Von einer emanzipierten Frau wird erwartet, den untreuen Scheißkerl zu verlassen. Auch wenn sie das vielleicht gar nicht möchte. 

Neben den Freundinnen gibt es noch die professionellen Ersthelfer für seelische Beeinträchtigungen aller Art. Die sollten doch eigentlich Bescheid wissen über die unterschiedlichen Bedürfnisse und wie sie zu stillen sind. Meine Erfahrungen damit gehen sehr weit auseinander. Nun darf man ja von einem Seelenklempner keine handfesten Gebrauchsanleitungen erwarten. Ein hilfreiches Zitat einer Therapeutin versuche ich heute noch in mir wirken zu lassen: „Wer das Problem hat, hat die Lösung.“ Tief in mir weiß ich bereits, was zu tun ist. Ich muss dieses Wissen nur frei legen. Das ist umso schwerer, je mehr es von Ratschlägen zugeschüttet wird, so gut gemeint die auch sein mögen. 

Andererseits habe ich auch durchaus konkrete Vorschläge bekommen. Hilfreiche, die ich nicht befolgt habe. Zum Beispiel zu lernen, mir selbst genug zu sein. Statt dessen habe ich nach meiner Trennung sofort zu daten begonnen. Mein angeknackstes Selbstbewusstsein wollte unbedingt aufpoliert werden und das versprach ich mir von männlicher Bewunderung.

Der Vorschlag, bei dem es mir heute noch kalt über den Rücken läuft, kam von einem Paartherapeuten. Wir hatten ihn aufgesucht, als die Affäre ans Licht kam, ich um die Ehe kämpfen wollte. „Gönnen Sie ihrem Mann in der nächsten Zeit zwei Frauen, wenn Sie das können.“ Und zu dem untreuen Ehemann: „Und Sie genießen es in nächster Zeit, zwei Frauen zu haben.“

Dass ich darauf eingegangen bin, kann ich heute nur auf meinen damaligen seelischen Ausnahmezustand zurückführen. Und es hat mir auch keineswegs geholfen. Es war, wie wenn man bei einer Herzmassage zur Ersten Hilfe die Rippen bricht und damit dem Wiederzubelebenden in die Lunge sticht, nachzulesen in meiner Geschichte „Trennung al dente“.