Warum ein Memoir schreiben? Und warum veröffentlichen?

Gedanken zu einem unterschätzten Genre (2)

In meinem letzten Post Was ist ein Memoir? widmete ich mich den Beweggründen, ein Memoir zu lesen. Aber warum sollte man auf den Gedanken kommen, eines zu schreiben? In meinem Fall ist die Antwort ganz einfach: Weil ich muss. Manche Dinge treten einfach ein, ohne dass man sie verhindern könnte. Wir treffen einen Menschen, ohne ihn gesucht zu haben und verbringen einen großen Teil unseres Lebens mit ihm. Jetzt könnte man einwenden, das Schreiben eines Buches sei eine aktive Handlung, die man setzen könne oder auch bleiben lassen, aber in meinem Fall war das nicht so. Ich musste schreiben. Es schreibt mich.  Und ich musste genau diese Geschichte schreiben. Sie floss einfach so in die Tasten, ohne dass ich es verhindern konnte. Eigentlich wollte ich meinen vor Jahren begonnenen Wirtschaftskrimi weiterschreiben oder einen inzwischen in meinem Kopf entstandenen neuen Krimi ohne jede Wirtschaft in Wort kleiden. Aber kaum begann ich, die Charaktere auszuarbeiten, stellte ich fest: einer davon ähnelt immer mir selbst. So ging das nicht. Ich musste mich zuerst von meiner Vergangenheit frei schreiben. Erst dann dürfen die fiktiven Geschichten aus meinem Kopf befreit werden. 

Als die ersten Seiten zu fließen begannen, stellte ich Erstaunliches fest: Meine Sichtweise auf die Dinge veränderte sich. Eigentlich hatte ich geplant, wie in meinem Seminar zum Memoir Schreiben gelernt, meine Tagebücher aus der entsprechenden Zeit zu Rate zu ziehen. Ich versuchte die ersten Zeilen in den Notizbüchern zu entziffern und legte sie gleich wieder weg. Viel zu traurig. So kann das nicht gewesen sein. So kann ICH nicht gewesen sein. Ich begann die Geschichte so aufzuschreiben, wie sie in meinem heutigen Hirn gespeichert ist und interessanterweise ist das nicht die gleiche, die in den alten Aufzeichnungen steht. Aber was ist schon wirklich wirklich? Diese Frage beschäftigte ja schon die großen Philosophen und kann von mir bestimmt nicht geklärt werden. Daher finde ich mich damit ab, dass es eben mehrere Wirklichkeiten selbst in mir gibt. Durch das Aufschreiben der Geschichte begann ich sie jedenfalls in einem neuen Licht zu sehen und das bietet immer Raum für neue Erkenntnisse. 

Die therapeutische Wirkung des Schreibens

Therapeutisches Schreiben wird manchmal als Begleitung zu einer Therapie angeboten, zur Unterstützung für schwer kranke Menschen oder auch «einfach so». In meinen herausfordernden Zeiten habe ich mir ein Buch über therapeutisches Schreiben besorgt, aber nach den ersten Seiten sowohl im Buch als auch im Notizblock stellte ich fest: das Schreiben funktioniert auch so. Ich brauche gar keine weitere Anleitung. Ich will damit nicht die Bedeutung dieser Unterstützungen schmälern. Aber ich schreibe einfach und danach geht es mir besser. Als ob ich einen Teil meines Schmerzes, meiner Sorgen an die Wörter abgeben könnte, die aus mir herausfließen. Beim Schreiben in einer helleren Stimmung passiert erstaunlicherweise das Gegenteil: die Freude verringert sich durch das Schreiben nicht so wie der Schmerz, durch das Aufschreiben manifestiert sich das Schöne und wird noch realer. Was für ein Wunderding dies Schreiben doch ist.

Das Schreiben eines Memoirs bietet also gleich doppelte Belohnung: Beim Schreiben das Tagebuches (das durchaus als Grundlage dienen kann) gibt man den Schmerz ab und beim Schreiben des Memoirs mit gebührendem Abstand kann man neue Erkenntnisse gewinnen und sein Leben zwar nicht rückwärts leben, aber immerhin rückwärts verstehen.

Warum dieses Sendungsbewusstsein?

Warum aber sollte man auf die Idee kommen, die Ergebnisse dieser Übungen zur Psychohygiene mit anderen zu teilen? Die Antwort ist in meinem Fall wieder die gleiche wie auf die Frage, warum ich diese Geschichten überhaupt schreibe: Weil ich muss. An einem bestimmten Punkt meines Schreibprojektes (so ungefähr ab der Seite 80) setzte sich der Gedanke in mir fest und ließ sich nicht mehr vertreiben. Ich versuchte ihm hartnäckig beizukommen mit allen Argumenten, die gegen eine Veröffentlichung sprechen. Du kannst dich doch nicht so öffentlich bloßstellen, noch weniger kannst du die Menschen deiner Umgebung öffentlich bloßstellen, kein Verlag würde das jemals annehmen…Der Gedanke hatte aber für jedes Problem eine Lösung parat: er dachte sich ein Pseudonym aus, schrieb die handelnden Personen so um, dass sie nicht mehr zu erkennen waren (es ging ja schließlich um mein persönliches Erleben und Wachstum, die Auslöser dafür waren beliebig austauschbar und es machte sogar Spaß, mir als Fingerübung für meine zukünftigen fiktionalen Buchprojekte zur Handlung passende Charaktere auszudenken). Für das Problem mit dem Verlag gibt es schließlich Self-Publishing. Ich schickte die erste 80 Seiten einer Freundin und sie animierte mich, das Projekt weiter zu betreiben. Und so nahmen die Dinge ihren Lauf. Ich schrieb das Buch fertig, gab es zwei weiteren Testleserinnen, die mich ebenfalls in der Idee bestärkten. Hier kannst du mehr über mein Buchprojekt Trennung al dente erfahren.

Natürlich habe ich meinen Gedanken um ein wenig Konkretisierung gebeten. Warum sollte ich das tun?  Reich und berühmt würde ich damit kaum werden. Aber ich hatte das Bedürfnis, meine Erkenntnisse zu teilen, anderen Frauen in ähnlicher Lebenslage das Gefühl zu vermitteln «Du bist nicht allein», vielleicht können meine Geschichten Mut machen. Bei den Dingen, die mir nicht so gut gelungen sind, kann ich vielleicht wenigstens als schlechtes Vorbild dienen. Und im besten Fall meine Leserinnen unterhalten. Wenn mir das gelingt, dann habe ich meine Mission vollendet. Ich bin sicher, da draussen in der Welt gibt es Menschen, die das lesen mögen, auch wenn die Verlage nicht daran glauben. Deswegen gehe ich gerade diesen spannenden Weg und lerne Lektorinnen, Coverdesignerinnen und Buchsetzer kennen. 

Vielleicht wage ich ja trotz aller Unkenrufe doch noch irgendwann einen Verlagskontakt und zwar auf ganz besondere Weise: am 3. April startet auf Startnext ein Crowdfunding zum spannenden Projekt PitchMyBook. Die engagierten Lektor:innen von buchfein.at schaffen eine Plattform zur Vernetzung von Autoren und Verlagen. Es färbt immer ein wenig auf mich ab, wenn Menschen mit Begeisterung ein Thema voranbringen. Vielleicht geht es dir genauso, wenn du das Pitch-Video ansiehst: https://www.startnext.com/pitchmybook

Und vielleicht sind unter meinen Leserinnen ja auch Schreiberinnen, die auf einer solchen Plattform einmal einen Versuch starten wollen. Die Plattform gibt es jetzt schon und mein Stöbern dort bringt mich wieder zum heutigen Thema. Die Kategorie «Memoir» findet sich nicht in der Auswahlliste, wenn man ein Manuskript einreichen möchte. Aber vielleicht ändert sich das ja irgendwann.