Radfahren in Salzburg oder Bullshit Bingo in der Mobilitätswende

Schon lange bevor ich vorsichtig darauf zurolle, versuche ich die Lage zu checken. Quert eine Touristentraube mit Sonnenschirm voran schon von weitem sichtbar? Soll ich sicherheitshalber schon mal einen Fuß ausklicken? Nein, es scheint einigermaßen geordnet zu laufen da vorne. Ich rolle weiter, reduziere nochmal mein Tempo. Gleich kommt das schwierigste Stück. Der Radweg teilt sich links und rechts um einem mächtigen Baum herum. Jetzt könnte man meinen, ist doch gut, wie auf der Autobahn mit Mittelstreifen, für jede Richtung eine Fahrbahn. Das dumme ist nur, dass dieser Mittelstreifen mehr Platz einnimmt, als die verbleibenden Streifchen für die Radfahrer. Wenn alle alles richtig machen, jeder auf der richtigen Seite fährt, kann das ganz gut klappen und die Reaktionsschnellsten unter uns sind auch in der Lage, rechtzeitig den Touristen auszuweichen, die, den Blick entweder auf die Festung, die Salzach oder den Aperol Spritz gerichtet, auf der Fahrbahn umhertaumeln. Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, Radwege hauptsächlich zu Lasten der noch schwächeren Verkehrsteilnehmer zu errichten.

Aber wo soll hier auf dem Radweg der Aperol Spritz herkommen? Je nach Tageszeit ist jetzt erst die schwierigste Stelle zu passieren. Wir fahren am Monkeys vorbei, Menschen aus meiner Altersgruppe kennen es auch noch als Bazillus. Der Gastgarten hat sich ausgebreitet, die Gäste sitzen jetzt an der Außenkante des kleinen Mäuerchens, natürlich mit Blick auf Festung und Salzach. Besonders lange Beine können hier einem Radfahrer schon mal ein Haxerl stellen, aber das ist nicht die wahrscheinlichste Kollisionsquelle. Wer vom Durst oder sonstigen körperlichen Bedürfnissen geplagt von seinem Sonnenplatzerl aufspringt um selbige schnellstmöglich zu stillen, bringt vielleicht nicht die ausreichende Vorsicht auf, um vorbeizischenden Radfahrern rechtzeitig auszuweichen. Siehe noch schwächere Verkehrsteilnehmer. 

Hat man diese Passage erfolgreich gemeistert, steht man zumindest als Fußgänger vor einer Herausforderung, die nach derzeitigem Stand der Technik schier unlösbar scheint. Man muss sich plötzlich dematerialisieren wie die Crew von Star-Trek, die gerade von Scotty hoch gebeamt wird.

Der Fußgängerweg endet hier. Der Radweg wird noch schmaler, und welchem Fußgänger sei es zu verdenken, wenn er sich darauf verirrt und weitere Kollisionsgefahren heraufbeschwört?

Nun habe ich verletzungsbedingt diese abenteuerliche Fahrradreise auf dem Arbeitsweg in den letzten Jahren leider nicht auskosten können. Heute aber habe ich mich zum ersten mal wieder ein paar Kilometer ins Stadtgebiet gewagt, ein Unterfangen, das nur routinierten Fahrern zu empfehlen ist. Und das ist das wirklich Traurige daran. Viele Eltern – mich eingeschlossen – möchten ihre Kinder aus Sicherheitsgründen nicht im Stadtgebiet fahren lassen. Auch Senioren, deren Reaktionsvermögen langsam nachlässt, ist es nicht unbedingt anzuraten. Denn die oben geschilderte Variante ist die zu Lasten der Fußgänger. Die gefährlichere Variante, Radwege in Salzburg zu schaffen, besteht darin, einen Streifen auf die Fahrbahn mit einem Fahrradsymbol darauf zu malen. Was die meisten Autofahrer herzlich wenig kümmert. 

Aber zurück zu meinem sonntäglichen Abenteuer. Das war ja eine reine Vergnügungsfahrt und zählt als solche wahrscheinlich nicht in die Statistik der zurückgelegten Wege, die lt. „Mobilitätsmasterplan 2030“ auf die „Aktive Mobilität“ verlagert werden sollen. Aber es gibt ja vielleicht auch Menschen, die hier zur Arbeit fahren, manche vielleicht sogar mit einem Rennrad, so wie ich früher. Das ist derzeit im Bereich Schloss Glanegg eher nicht zu empfehlen. Jetzt weiß ich auch, warum die Gravelbikes plötzlich so beliebt sind. Der Radweg, der früher durch den Gutshof führte, der wegen der dortigen Bremshügel für den Rennradfahrer auch damals schon etwas sportlich war, endet jetzt vor ebendiesem. Einen jahrelangen Streit um diesen Radweg habe ich nur am Rande mitbekommen und irgendwie kann ich den Gutsbesitzer ja auch verstehen. Ich möchte auch nicht unbedingt Kolonnen von Radfahrern durch meinen Garten ziehen lassen, auch nicht hügelgebremste. Jetzt allerdings steht man plötzlich auf grobem Schotter. Ich schwanke zwischen den Optionen, einen Platten zu riskieren oder mich wieder auf die Straße zu begeben. Die Radwegbenützungspflicht gilt in Österreich für Rennradler auf Trainingsfahrt nicht, aber so fühle ich mich auf meinen ersten Rollversuchen gerade nicht. 

Als ich über die Moosstraße wieder stadteinwärts radle, hebt das meine Meinung über die Radwege nicht unbedingt. Neben einer bestens gepflegten Straße windet sich ein kümmerliches Streifchen, an einigen Stellen haben Wurzeln den Asphalt gehoben. Trotz dieses Untergrunds bin ich sicher wieder zuhause angekommen und hier google ich die kürzlich verkündete Mobilitätsäwende der Bundesregierung. Und fühle mich zurückgeworfen in Zeiten, wo ich mit einem Kollegen in der Arbeit Bullshit-Bingo gespielt habe. Mein persönlicher Hitverdächtiger ist die „Aktive Mobilität“. Ich habe ein wenig gebraucht, bis ich verstanden habe, dass damit die Radfahrer und wahrscheinlich auch Fußgänger gemeint sind. Bis 2040 soll sich dieser Anteil an der Verkehrsleistung verdoppeln. Da bin ich mal gespannt, wie das aussehen wird. Nun ist mir zwar bekannt, dass es auch außerhalb Salzburgs noch eine Fahrradwelt gibt, aber ob die die hiesige Politik kompensieren kann? Schließlich wurde 2021 der Radwegkoordinator abgeschafft. Das ist wenigstens konsequent. Wenn man im Jahr 2018 eine Brücke zur Verbindung wesentlicher Stadtteile baut, den Radweg aber aus Kostengründen weglässt, wenn man also Radwege konsequent nicht ausbauen möchte, kann man sich ja auch den Koordinator dafür sparen. 

Jetzt könne man meinen, heute schreibt Julia Landers etwas, das so gar nichts mit Liebeskummer zu tun hat. Oder wenigstens mit dem Autorenleben. Aber das stimmt gar nicht. Alles hat mit Liebeskummer zu tun, wenn man diesen gerade durchleidet. Man kann ihn zwischendurch vielleicht einmal kurz zur Seite schieben, aber er durchtränkt das Leben wie der Nagellackentferner den Wattebausch, der auch manche Stellen trocken lässt. Und eines meiner Lieblings-Ablenkungsmanöver für trockene Stellen im Liebeskummer-Wattebausch ist eben das Radfahren.

Dasselbe gilt für das Autorenleben. Alles, was ein Autor erlebt, zählt zum Autorenleben, so wie, frei nach Reinhard P. Gruber „alles was ein Steirer anzieht, ein Steireranzug“ ist. 

Aber falls ich doch lieber etwas ausführlicher über Liebeskummer lesen wollt, hier gehts zu meinem Debütroman „Trennung al dente“.