Wie sollen wir den Spagat zwischen Altersdiskriminierung und demografischem Wandel schaffen?
Ich schreibe in meinen Büchern ja über die Umbrüche im Leben. Kinder bekommen, Trennung, Scheidung – das sind Umbrüche, die einen betreffen können oder auch nicht.
In meiner Gratis-Kurzgeschichte nehme ich euch mit nach Ägypten, wo ich versucht habe, den Umbruch „Familiengründung“ mit einer Auswanderung zu kombinieren:
Jetzt aber befinde ich mich in einem Umbruch, der ausnahmslos jeden früher oder später trifft. Ich werde alt. Anfangs habe ich versucht, diese Tatsache zu ignorieren und da mein Körper so freundlich war, mich dabei zu unterstützen, hat das auch eine Zeitlang gut funktioniert. Der gefürchtete 50iger ist an mir vorbei gerauscht wie jeder andere Geburtstag auch. Ein Lockdown hat mich vor einer großen Party bewahrt, die mich daran hätte erinnern können. Ein wenig traurig war ich nur, weil ich die für den Tag geplante Besteigung des Großglockners auf das nächste Jahr verschieben musste. Da konnte ich mir das Geschenk dann tatsächlich machen, mein Körper war in der Form meines Lebens und mein Geburtsdatum eine völlig irrelevante Zahl. Irgendwann fing es dann an. Ein Ziepen hier, ein Zwacken da. Schulter, Knie, Rücken, alles nicht mehr neu. Jetzt könnte man sagen, selber schuld, wenn ich meinen Körper so über Gebühr beanspruche und ich jammere auf hohem Niveau. Aber mit Rücken-, Schulter- und Knie-Beschwerden bin leider ich bester Gesellschaft auch mit nicht-sportelnden Menschen.
Die Arbeitnehmer leiden mit zunehmendem Alter
Der menschliche Körper ist einfach nicht dafür gebaut, 8 Stunden am Tag zu sitzen. Mit Mittagessen sowie An- und Abreise kommen gern mal 10 Stunden zusammen. Zwischendurch steht man auf, um zum Drucker zu gehen (eine im digitalisierten Büro zunehmend aussterbende Tätigkeit), die Toilette aufzusuchen (hier wäre eine Blasenschwäche von Vorteil für eine Häufung dieser Notwendigkeit), Kaffee zu holen (was wenigstens wieder harntreibend ist) oder zu einem Meeting zu gehen. Wo man dann auch wieder sitzt. Vielleicht würde bei einem Meeting im Gehen oder Stehen manchmal auch etwas mehr Bewegung in die Sache kommen.
Einen großen gesundheitlichen Vorteil bietet hier – man würde es nicht glauben – das Rauchen. Die Raucher halten ihre Pausen oft penibler ein als ihre nicht-rauchenden Kollegen und sie stehen dabei. Leider kommt es meist nicht gut an, sich als Passiv-Raucher daneben zu stellen. Und welcher Nichtraucher stellt sich einfach so in den Hinterhof?
Auch das verkrampfte Festhalten einer Maus über den ganzen Tag hinweg wird manchmal von der Schulter mit chronischen Schmerzen beantwortet (Ich habe mich zum Maus-Linkshänder umgeschult, die Abwechslung soll auch gut fürs Gehirn sein).
Ein junger Köper steckt all das locker weg, man fläzt sich lässig in den Bürostuhl ohne es am Abend büßen zu müssen.
Das ist jetzt alles aus meiner Sicht der Schreibtischtäter geschildert. In meinem Bekanntenkreis finden sich allerdings auch bei Handwerkern körperliche Beschwerden mit zunehmenden Alter durch einseitige Tätigkeiten.
Die Arbeitgeber leiden auch unter der Situation
Mit steigendem Alter verlangen die Arbeitnehmer mehr und mehr nach seltsamen Dingen. Sitz-Auflagen oder sogar besondere Sessel, ergonomische Mäuse oder Tastaturen. Und in letzter Zeit gibt es sogar die ganz unverschämten, die einen höhenverstellbaren Schreibtisch fordern! Natürlich ist das alles mit Kosten verbunden, die eher bei älteren Mitarbeitern anfallen, die Jungen haben meist andere Prioritäten. Diese Ausgaben sind aber noch verschwindend gering im Gegensatz zu jenen, die einem beim Blick in die Krankenstands-Statistik ins Auge springen: In Österreich steigt die durchschnittliche Zahl an Krankenstands-Tagen pro erwerbstätiger Person von 13,5 Tagen in der Altersgruppe 35 – 49 Jahre auf 20,4 Tage in der Altersgruppe 50 bis 64 Jahre. Welcher Arbeitgeber würde einem einfach so mehr als eine zusätzliche Urlaubswoche schenken? Aus meiner eigenen kleinen Statistik mit der unzureichenden Stichprobenanzahl von n = 1 muss ich das leider bestätigen. Man fährt auf Reha oder Kur, um in drei Wochen die Beschwerden zu mildern, die sich in Jahrzehnten angesammelt haben. Leider ein oft unbefriedigendes Unterfangen für beide Seiten. Der Arbeitgeber muss einen dreiwöchigen Ausfall abfedern, der nachhaltige Erfolg tritt nicht immer ein. Und vielleicht bin ich ja ein Schelm, der Böses denkt, aber so ganz leicht beschlich mich bei meiner Kur der Verdacht, dass sich vielleicht der eine oder andere „Sport-Tourist“ unter die Leidenden mischt.
Leider gibt es neben den orthopädischen Beschwerden aber auch die ganz schlimmen Krankenheiten. Auch die Wahrscheinlichkeit einer Krebserkrankung steigt mit dem Alter. Ich jammere also mit meinen Beschwerden wieder einmal auf hohem Niveau.
War zuerst die Henne oder das Ei?
Ein erstaunliches Detail der Krankenstands-Statistik fällt noch ins Auge:
In der Altersgruppe 65 Jahre und älter sinkt die durchschnittliche Krankenstandsdauer wieder von 20,4 auf 16,4 Tage. Wird man mit zunehmendem Alter wieder gesünder, sodass man plötzlich wieder fast eine Woche mehr pro Jahr arbeiten kann? Das ist nur auf den ersten Blick erstaunlich. Bis einem bewusst wird, dass das Regelpensionsalter derzeit bei 65 Jahren liegt und danach nur noch Menschen arbeiten, die das wirklich gerne tun (oder für die die Pension nicht reicht).
Vielleicht ist ersteres auch ein Schlüssel zur Lösung des Problems? Wenn wir gerne arbeiten, werden wir weniger krank. Auch das kann ich aus meiner kleinen Statistik bestätigen. Und hier sind in erster Linie die Arbeitgeber gefordert. Ich halte eine sinnstiftende Tätigkeit, das Gefühl mitbestimmen zu können, (noch) Teil einer Gruppe zu sein für wesentlich wichtiger als ergonomische Sitzkissen. Letztere habe ich mir selbst gekauft, genauso wie einen höhenverstellbaren Schreibtisch-Aufsatz fürs Büro. Natürlich hätte ich die Bezahlung dieser Dinge als einen Akt der Wertschätzung empfunden, aber noch mehr Wertschätzung wünsche ich mir für meine Tätigkeit.
Leider bin ich mit meinen Problemen wieder einmal nicht allein. In meinem Bekanntenkreis finden sich zahlreiche Angestellte, die aufs Abstellgleis verschoben und/oder von einer Leiterposition zum Untergebenen des neuen, jüngeren Leiters degradiert wurden. An diesem Brocken kaut und schluckt man lange, manchmal kann man ihn gar nicht ganz hinunterwürgen und das Kauen und Schlucken kann auch krank machen. Man beginnt die Tage bis zur Pensionierung zu zählen (oder Wochen oder Monate oder Jahre, je nachdem wann einen die Altersdiskriminierung trifft). Im Wartesaal des Lebens verweilen, bis man den letzten Raum betreten darf?
Die Arbeitgeber mögen keine älteren Arbeitnehmer, weil sie so oft krank sind und die Arbeitnehmer sind so oft krank, weil sie nicht gemocht werden – wie findet man den Ausweg aus diesem Kreislauf?
Natürlich ist das stark vereinfacht und es gibt zahlreiche andere Gründe für die Krankenstände, die auch den bis dahin glücklichsten Arbeitnehmer betreffen können, aber ich denke eine Diskussion über die Art und Weise, wie wir das Arbeiten im Alter gestalten, ist dringend erforderlich.